Vor einiger Zeit fand in Wriezen eine Lehrberufeschau statt. Noch am selben Nachmittag rief mich eine Mutter an: Ihr Sohn sei mit der Ansage nach Hause gekommen, er wolle kein Abitur machen, lieber eine Berufsausbildung. Seine Begründung: Er habe erst auf der Lehrberufeschau erfahren, welche Ausbildungsmöglichkeiten und Aufstiegschancen man in einem Handwerksberuf hat.
Während dieses Telefonats erinnerte ich mich, dass auch ich einmal glaubte, Kinder hätten in der digitalisierten Welt von heute nur mit Studium gute Entwicklungschancen. Angesichts tausender Studienabbrecher und vieler Abiturienten, die nach der Schule nicht wissen, für welchen Beruf sie sich entscheiden sollen, habe ich heute eine ganz andere Haltung.
Natürlich würde ich niemals zum Abbruch des Abiturs raten. Aber ich würde immer eine Lehrausbildung in einem Handwerksberuf als festes Fundament für den Weg in die berufliche Zukunft empfehlen. Ob mit oder ohne Abitur. Und jedem Gesamt- oder Oberschüler und auch den Gymnasiasten rufe ich zu: Auch deine Entwicklungschancen in einem Handwerksberuf sind hervorragend! Dass Bewusstsein dafür scheint zu steigen. Bis Ende August haben wir bereits mehr Lehrverträge unterschrieben als in den zwei Jahren zuvor.
Berufe im Handwerk werden wieder attraktiver. Auch weil die Lehrlingsvergütungen steigen. 2022 werden sie im Durchschnitt zwischen 585 und 819 Euro liegen. Dazu kommt das klimafreundliche 365-Euro Jahresazubiticket.
Gerade die Pandemiejahre zeigten: Wo andere kurzarbeiteten, kam die Mehrheit der Handwerksfirmen sicher durch die Krise. Die Auftragsbücher sind voll. So voll, das allerorten Handwerkermangel herrscht – von A wie Augenoptiker bis zu Z wie Zweiradmechatroniker. Aber dieser Mangel öffnet Jugendlichen mit einer Berufsausbildung wahnsinnig gute Chancen. Auch mit Blick auf einen späteren Studienplatz. Wer heute den Mut hat, sich nach einer Berufs- und Meisterausbildung selbstständig zu machen, kann gar nichts falsch machen. Dessen Zukunft, auch die finanzielle, ist gesichert.
Ich möchte hier alle Eltern ermutigen, sich zu informieren, ihre Kinder zur Teilnahme an Lehrberufeschauen, Zukunftstagen oder Future-Camps zu motivieren. Oder besser noch, auch selbst mal vorbeizuschauen. In der Lehrstellenbörse: www.azubi-ostbrandenburg.de fanden sich zwischen Nordwestuckermark und dem Schlaubetal allein Ende August noch 165 freie Lehrstellenangebote.
Es sind keine Apps, die auch in Zukunft sicherstellen, dass in Ihrer Wohnung, ihrem Haus das Wasser läuft, der Strom anliegt, das Dach dicht ist, die Terrasse gepflastert ist, die Gasanlage sicher ist, es frische Brötchen gibt, Fleisch von guter Qualität ist und ihr Auto sie sicher von A nach B bringt, egal ob mit Verbrenner oder E-Motor. Das Handwerk hat nichts mehr mit Schusters Rappen zu tun oder mit Meister Eder aus Pumuckls Zeiten. Klar tischlern Handwerksfirmen heute noch Türen, aber sie bauen auch mit an Satelliten der ESA, gestalten die E-Mobilität, das Smart Home.
Willkommen im Handwerk, das heißt auch Welcome to the Future.
Michaela Schmidt,
Leiterin der Abteilung Berufsbildung der Handwerkskammer Frankfurt (Oder) – Region Ostbrandenburg